ARCHITEKTUR IM RITTERGUT
Eine lange Geschichte
Mit der Eintragung in die Denkmalliste der Stadt Pulheim am 25.03.1985 sollte das 1838 erbaute Gebäude vor weiterem Verfall geschützt werden.
Im Rahmen einer Ersatzvornahme wurde 1986 das baufällige Dach und die Decke zwischen Erdgeschoss und 1. Obergeschoss entfernt. Innen- und Außenwände, die vom Einsturz bedroht waren, wurden gesichert. Dazu wurde unter anderem unterhalb der Zinnen zur Stabilisierung ein Ringbalken eingezogen und der Zinnenkranz wurde fassadenseitig wiederaufgebaut.
Bis zum Verkauf an den derzeitigen Eigentümer im Jahre 2010 waren die »Überreste« des ehemaligen Rittergutes Orr der Witterung ausgesetzt. In den darauffolgenden Jahren wurde das Gebäude komplett wiederaufgebaut.
Der ehemals klare und zweckmäßig gehaltene Grundriss des Gebäudes konnte aufgrund älterer Skizzen rekonstruiert werden. Von der ehemaligen herrschaftlichen Nutzung mit Saal, Wohn- und Musikzimmer, Küche, Bädern, fünf Schlaf- und einem Gästezimmer ist nach dem langen Leerstand im Erdgeschoss durch die noch vorhandenen Trennwände die frühere Raumaufteilung erkennbar. In den anderen Räumen können Besucher die damalige Raumaufteilung durch eine Unterbrechung des Parkettbodens nachempfinden: die originalen Riemchen aus Ziegelstein wurden sichtbar gelassen.
In einigen Bereichen sind noch originale Fußbodenbeläge erhalten geblieben. In allen anderen Bereichen wurde der Fußboden mit Vollholz-Dielen dem früheren Zustand nachempfunden. Im südöstlichen Bereich befindet sich ein Gewölbekeller, dessen Zugang von der Diele aus erfolgt. Gemauerte Gewölbedecken lassen sich auch im nicht unterkellerten Bereich nachweisen.
ALLES NUR FASSADE – DAS HERRENHAUS VON AUSSEN
Das Herrenhaus, das auf einer angeschütteten Rampe an der Steilkante eines alten Rheinbettes errichtet wurde, ist ein zweigeschossiger Backsteinbau mit schlanken Ecktürmen, deren Zinnen betont über den Zinnenkranz der Fassade hinausragen. Das niedrige Walmdach lag zurückgesetzt. An der südwestlichen Gartenseite befindet sich ein Mittelrisalit, der die mittleren drei Achsen der insgesamt fünfachsigen Fassade umfasst. Die reichere Dekoration dieser Fassadenseite weist sie als Hauptansicht aus. Die gegenüberliegende Nordostfassade ist ebenfalls fünfachsig, während die südöstliche Front vier, und die Nordwestseite lediglich drei Achsen aufweist. Die Eingänge befinden sich in den Mittelachsen der Nordwest- und Nordostseite.
In der Blütezeit des Gebäudes zog sich ein niedriger Sandsteinsockel rings um das Gebäude herum. Zwischen den beiden Geschossen verlief ein Sandsteingesims, das die Ecktürme nicht berührte und so als eigenständiges Zierelement erkennbar war.
Von besonderer Qualität sind die Fenstertüren und Fenster, die im Mittelrisalit eng zusammengerückt, mit profilierten Werksteinrahmen versehen waren. Die Fenstersockel des Obergeschosses im Bereich des Erkers haben gusseiserne Füllungen: jeweils zwei gerahmte Vierpässe.
Besonders erwähnenswert sind die Oberlichter aller Fenster und Türen, die ein Maßwerk in Form von Andreaskreuzen aufwiesen. Nachdem die Erdgeschossfenster wegen Einbruchsgefahr zugemauert wurden, konnten noch einige Originalfensterteile gerettet werden. Wegen der starken Witterungseinflüsse, die diese Fenster jahrelang ausgesetzt waren, waren sie jedoch nur noch als Vorlage für die einzusetzenden Fenster zu nutzen.
DAS HERRENHAUS UND SEINE ARCHITEKTEN
Aufgrund von Quellen und Nachforschungen ist die Zuschreibung von Haus Orr an den Baumeister Zwirner mehr als wahrscheinlich. Ein Blick auf das in Einzelheiten eng verwandte Rathaus zu Kolberg in Pommern lässt die Verbindung zu. Die Ausführung des Schinkel-Entwurfes lag in den Händen seines Schülers Ernst Friedrich Zwirner. Die Grundsteinlegung erfolgte 1829. Bei seinem späteren Entwurf für das Rittergut Orr übernahm Zwirner charakteristische Merkmale des Kolberger Rathauses in sein Architekturkonzept für Haus Orr.
Hier ein kleiner Auszug aus Wilfried Hansmanns Text »Haus Orr in Pulheim und Schinkels Rathaus zu Kolberg«, erschienen 1983 im Band 7 der Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde:
»Vor allem die Türme mit ihren Zinnen und die Zinnen der Gebäudeflügel erinnern auf den ersten Blick an Haus Orr, aber die Verwandtschaft lässt sich noch weiter verfolgen. Das Rathaus ist in jener neugotischen Bauart errichtet, die zwar im Einzelnen mittelalterliche Formen benutzt, sie aber in einem neuklassischen Sinne verwendet.
Einzelne klar begrenzte Körper, wie Turm, Flügel, Hauptbau, sind in symmetrischer Ordnung aneinandergefügt; selbst in einem einzelnen Flügelbau sind die Ecktürme und die Wandteile noch durch Einschnitte voneinander geschieden, so dass jeder Teil in seinem Einzelsein betont wird. Auch das sorgfältig, unverputzte Backsteinmauerwerk, dessen Ausführung am Kolberger Rathaus Schinkel so lobte, findet sich hier wieder.
Neu eingeführt aber sind die gusseisernen Vierpassfüllungen der Fensterbrüstung. Zwar dominieren im Gesamtbild von Haus Orr, wie auch am Kolberger Rathaus, noch immer die Formen mittelalterlicher Profanarchitektur, insbesondere die Ecktürme und das Zinnenwerk, die dem Bau einen gewissen wehrhaften Ernst verleihen, doch in der Breitenlagerung des Gebäudes und in der klaren Abgrenzung von Flächen und Körpern ist die klassizistische Formgesinnung nicht zu übersehen.«
Quellen: Wilfried Hansmann: Haus Orr in Pulheim und Schinkels Rathaus zu Kolberg Petra Engelen: Der Park von Haus Orr bei Pulheim als Gartendenkmal Rita Hombach: Der Landschaftsgarten von Haus Orr |
Broschüre & Bildband
Mehr Einblicke in die Vergangenheit des Ritterguts inklusive vielen historischen Bildern liefern sowohl die Broschüre des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz über das Rittergut Orr in Pulheim (DIN A5, 30 Seiten, Preis 3 Euro) als auch der Bildband »Rittergut Orr – erlebte Geschichte« von Mecki und Wilfried Claus (DIN A4, 156 Seiten, Preis 15 Euro). Beides können Sie über unseren Förderverein beziehen.